Das Werk von Reinhold Budde sperrig zu nennen wäre vermessen, operiert
der Künstler doch scheinbar mit allgemein anerkannten künstlerischen
Kategorien wie dem Minimalismus, dem abstrakten Realismus oder der
Reenactment-Strategie. Allerdings ist es mit dem allzu leicht aufgerufenen
Grundsatzdiktat der Minimalisten „a box is a box is a box“ bei Reinhold Budde
nicht getan. Der Künstler beweist mit seiner Ausstellung „Bühne # Raum“
in der Galerie des Westens (GaDeWe), dass Kunst mehr als nur ein zur
Kunst erklärtes Objekt ist. Buddes Installation ist ein Statement, nach dem
Kunst zwar von den Größen „Betrachter“ und „Raum“ durchaus unabhängig
existieren kann, ihre „Wahrnehmung“ und „Wirkung“ jedoch auf diesen
beiden Bedingungen gründen. Abbildungen oder auch Beschreibungen
mögen daher eine Ahnung des ästhetischen Konzepts vermitteln, bleiben
aber hinter dem physischen Erleben zurück. Auch wenn Ausstellungen
allgemein und eine Ausstellung Reinhold Buddes im Besonderen immer
das Ephemere eines Konzepts betonen, so können doch Parameter
benannt werden, die die dahinterliegende ästhetische Raumwahrnehmung
gedanklich abstecken.
Reinhold Buddes künstlerisches Werk ist vielschichtig und konsequenter
Weise lassen sich seine von ihm selbst arrangierten Ausstellungen nicht
mit einem Blick erfassen. Die Ausstellung „Bühne # Raum“ in der GaDeWe
Bremen ist keine Installation, die auf eine optische Klimax, auf einen
großen Trick hinarbeitet. Vielmehr hat Budde ein Konzept entwickelt, in
dem sich der Ausstellungsort, die installierten Werke und der Betrachter
selbst zu einem ausgewogenen Ganzen verbinden. Der aufmerksame
Ausstellungsbesucher wird bereits auf der Straße vor der Galerie durch
eine Spiegelfläche, die zwischen zwei bereits bestehende
Fenster angebracht wurde, in das künstlerische Konzept integriert. Mit
diesem bislang im Werk Reinhold Buddes kaum präsenten Motiv macht
der Künstler bereits vor dem Eintreten in den eigentlichen Kunstraum
deutlich, dass es um mehr als nur eine Ausstellung künstlerisch gestalteter
Objekte geht. Die Spiegelfläche reflektiert nicht nur den Umraum, sondern
wird von Budde als ein Medium eingesetzt, das dem Gewahrwerden der
Eigenkörperlichkeit dient – kurz: den Betrachter als Betrachter ausstellt. In
der in Bremen verwirklichten Ausstellungssituation nimmt das Spiegelmotiv
somit die Position eines Prologs ein, der die Aufmerksamkeit leitmotivisch
von außen in das Innere der Galerie lenkt, um sich dort zu einem komplexen
System von Bezügen auszuweiten.
So taucht der Spiegel immer wieder an prominenten Stellen im Galerieraum
auf. Noch während des Eintretens verliert sich der Betrachter in der ersten,
rot schimmernden Reflexionsfläche. Erst im Spiegelbild werden in der
Folge die wichtigsten Elemente des Hauptraums, darunter der im Rücken
des eintretenden Betrachters gehängte graue Vorhang, wahrgenommen.
Das „Bild“ des Vorhangs leitet schließlich zu der realen, räumlich über
Eck gehängten grauen Stoffbahn über, die wiederum zu
einer abseitigen, durch einen Treppenabsatz markierten Nische führt.
Gleichzeitig nimmt der Vorhang unmittelbar Bezug zu seinem Pendant auf,
einem ostensibel roten Stoffelement auf der gegenüberliegenden Seite
des Raums. Folgt man weder den Vorhängen noch den Spiegelflächen,
sondern den roten, schwarzen oder gelben Setzungen im Raum, werden
neue, anders gerichtete Bewegungen herausgefordert. Ganz allmählich
zeichnet sich so im Ausstellungsraum ein Bewegungsprofil ab, das aus
einem sich mehrfach überkreuzenden System von Linien besteht. Eckund
Wendepunkte bilden die im Galerieraum positionierten Kunstwerke.
Reinhold Budde setzt dieses Bewegungsprofil über ein komplexes System
von Bezügen in Gang, das er über Farbe, Materialität und schließlich
über Formen und Proportionen steuert. Damit verschränkt er nicht nur die
eigenwillig verschachtelte Architektur des Ausstellungsraums, sondern der
Künstler markiert auf diese Weise auch Indizien, die auf die geschichtliche
Dimension des jetzigen Ausstellungsraums hinweisen. Unabhängig von
jeglichem Wissen über die Geschichte des Galerieraums als vormalige
Kleinkunstbühne macht jeder Besucher selbst im Raum die Erfahrung mit
dem einst an diesem Ort so präsenten Thema „Theater“ bzw. „Bühne“: Die
beiden schlichten Vorhänge aus schwerem, licht- und schallabsorbierenden
Bühnenmolton heben sich deutlich von den Spiegel- und Lackflächen der
übrigen Objekte ab. Sie reflektieren nicht die Raumsituation, sondern
scheiden in ein räumliches Davor und Dahinter, wie sie durch ihre
regelmäßige Raffung selbst konkav und konvex rhythmisierte Binnenräume
schaffen. Das zur Schau gestellte Rot des Vorhangs unterstützt überdies die
Interpretation der im Raum vorhandenen unterschiedlichen Bodenniveaus
als Zuschauerraum und Bühne.
Doch sollten die vom Künstler inszenierten Brüche an dieser Stelle
aufmerken lassen, die eine klare Grenzziehung ad absurdum führen: Der
Vorhang ist nicht an der Bühne, sondern auf der Bühne angebracht und trennt
somit weniger Bühne und Publikum, als dass er selbst inszenierter Teil der
Bühne wird. Definiert sich ein Bühnenvorhang für gewöhnlich primär über
seine Wandgebundenheit, durch die eine Raumsituation von beiden Seiten
gleichermaßen gerahmt wird, so beschreibt Buddes textiler „Raumkörper“
ein frei stehendes, eigenkörperliches Element – nicht rahmend, sondern
vielmehr den Bühnenraum körperlich besetzend. Mit dem von Reinhold
Budde auf der Bühne inszenierten „Raumkörper“ und den sich hinter dem
Vorhang befindlichen Objekten fällt auch die scheinbar klare Trennung
in Betrachter- und Illusionsraum. Wer tatsächlich die Ausstellung als
Ganzes sehen möchte, wird vom Künstler gezwungen den Bühnenraum
unweigerlich selbst zu betreten, ihn sogar aktiv zu durchschreiten, um in
das dahinterliegende Bilderkabinett zu gelangen.
Buddes in der GaDeWe Bremen entfaltetes raumästhetisches Konzept,
das sich im Bild des Vorhangs verdichtet, steht symptomatisch für sein
Werk. Genauso wenig wie die Ausstellung selbst, lässt sich das OEuvre
Reinhold Buddes in feste kunsthistorische Stilbegriffe einordnen, noch
innerhalb klassischer Gattungsgrenzen befragen. Was im Werk Reinhold
Buddes ist Malerei? Was ist Bildhauerei? Welches Werk inszeniert
seine Funktionalität, die zentral für eine Bestimmung als Design- oder
Architekturobjekt wäre? Seit den 1990er Jahren arbeitet der Künstler mit
dem monochromen Bildverfahren. Er verzichtet wie viele Künstler der
Minimal Art vor ihm auf einen Malduktus, eine Malgeste, die die individuelle
Hand des Künstlers auszeichnet. Reinhold Budde tritt als Künstler hinter
sein Werk zurück, wie er ebenso auf Narration zugunsten von Farbe
verzichtet. Seine monochromen Arbeiten zeigen nichts – sie stellen aus.
Während sich die Minimal Art über ihren dreidimensionalen Werkbegriff
definiert, in dem der Versuch, der Farbe eine plastische Form zu geben,
künstlerischer Kulminationspunkt war, ist und bleibt für Reinhold Budde der
Ausgangspunkt die Malerei selbst. Budde reflektiert in seinen Werken das
Medium Malerei sowie seine Bedingungen und befragt sie überdies nach
Kategorien wie Zeit und Raum – Kategorien, die zunächst einmal weniger
auf die Malerei zugeschnitten erscheinen, als dass sie für das bewegte
Bild, die Performance bzw. die traditionellen Raumkünste wie Architektur
und Bildhauerei konstitutiv sind. Buddes Überlegungen, der monochromen
Flächenmalerei eine zeitliche Dimension einzuschreiben, liefen zunächst in
seinen Schichtbildern zusammen: Bilder, die aus unzähligen, sich sukzessiv
überlagernden bunten Farbschichten bestehen und erst im Erreichen eines
tiefen Schwarz zum Stillstand kommen. Seit 2006 lösen sich Buddes immer
weiter in den Raum ausgreifenden Schichtbilder endgültig von der Wand.
Sowohl die Vorder- als auch die Rückseite des verwendeten Aludibonds
werden nunmehr zu Bildträgern. Mit der programmatischen Verräumlichung
des Bildes verschiebt sich auch der inhaltliche Fokus. Es geht nicht mehr
darum, was auf dem Bild dargestellt wird, sondern um das Ausstellen des
Dazwischen. Budde selbst nennt dieses Dazwischen „Resonanzraum“,
in dem nichts anderes als Farbe selbst zum Schwingen gebracht wird.
Die Werke des Künstlers Reinhold Budde oszillieren damit zwischen den
Gattungen. Sie bewegen sich zwischen Malerei, Bildhauerei und Design.
Mit seiner aktuellen Ausstellungsinstallation in der GaDeWe Bremen greift
Budde nun zunehmend auch in die performativen Künste aus, in dem die
aktive Wahrnehmung des Betrachters eine immer größere Rolle für das
Werk spielt. Farbräume werden nicht mehr nur geschaffen und ausgestellt,
sie bekommen – wie im Falle des in der Ausstellungsinstallation der
GaDeWe integrierten leuchtend gelben Papierstapels – im
wörtlichen Sinne eine Bühne, auf der sie mit dem Betrachter interagieren.
Mit dem in der Ausstellung der GaDeWe Bremen in den Fokus genommenen
Bühnenraum fordert Reinhold Budde geradezu heraus, das Verhältnis von
„Bühne“ und „Raum“ auszuloten. Die Bühne, als explizit kunstimmanentes
Thema, mag in Form eines in sich abgeschlossenen, inszenierten Raumes
diesbezüglich selbst grundlegende Hinweise geben; der vom Künstler
gewählte Titel der Ausstellung „Bühne # Raum“ macht das Verhältnis
jedoch explizit. Reinhold Budde hat die beiden für die Ausstellungssituation
der GaDeWe maßgeblichen Komponenten nicht einfach nur enggeführt
als „Bühne Raum“, er hat auch keinen „Bühnenraum“ geschaffen und
auch beide Begriffe nicht durch einen sprachlichen Operator verbunden,
um ein auf Kontiguität bzw. Differenz angelegtes System zu erstellen.
Vielmehr hinterlegt der Künstler seiner Ausstellung mit dem Titel ein global
verwendetes, digitales Kommunikationssystem des virtuellen Raums. In
diesem nimmt der „hash tag“ in einer gesondert definierten Zeichenkette
– allseits bekannt sind die fest definierten 140 Zeichen der Plattform
Twitter – eine Markierung vor, sorgt für die Verschlagwortung bzw.
Kontextualisierung des so kenntlich gemachten Begriffs. Im Markieren
und Verlinken von Inhalten berühren sich die digitalen „Doppelkreuze“ des
virtuellen Raums mit den Werken Reinhold Buddes, die den inszenierten
Ausstellungsraum anzeigen und lesbar machen. Budde markiert mit seinen
künstlerischen „hash tags“ Gattungsgrenzen, setzt diese in einen Kontext
bzw. verschränkt sie miteinander.
Denkt man Buddes folienhaft hinterlegtes Kommunikationssytem
konsequent weiter, so lässt sich für die Verhältnisbestimmung von Bühne
und Raum auch eine inhaltliche Hierarchisierung ablesen, wird der „hash
tag“ doch vor das zu markierende Wort gesetzt. Im Falle der Ausstellung
„Bühne # Raum“ liegt die Betonung also eindeutig auf dem Raum! In
dieser speziellen Verhältnisbestimmung von Bühne und Raum ist Buddes
Ansatz mit dem des streitbaren Theatermanns Heiner Müller (1929 – 1995)
vergleichbar, der den Raum als Ausgangspunkt seines künstlerischen
Ansatzes beschreibt: „Der Ausgangspunkt ist der Raum. Ein Raum, der
mit dem Gesamtraum – dem Zuschauer- und dem Bühnenraum – umgeht,
der ihn problematisiert und zwei gegenläufige Bewegungen herausfordert,
die bei der Beweglichkeit ansetzen.“ 1
1 Josef Szeiler und Mark Lammert im Gespräch. Es gibt nichts Fremderes als
einen Text von Heiner Müller, in : Wolfgang Stroch und Klaudia Ruschkowski (Hgg.):
Die Lücke im System. Philoktet Heiner Müller Werkbuch, S. 191 – 193, hier S. 192