Johannes Bruggaier

artist Kunstmagazin 102

Es ist ein seltsames Ding mit dem Leiden an der Fläche: Allerorten drängt es die Farbe fort von der Leinwand, hinein in den Raum. Künstler schaben sie ab, türmen sie auf, verleihen ihr plastische Formen. Warum? Vielleicht, weil gleichzeitig überall der Raum in die Fläche gepresst wird, ob auf Plasmafernsehern, Tablets oder Smartphones: Besetzung von Räumen als Reaktion auf eine zunehmende Verbildschirmung des Alltags. Nicht immer muss diese Reaktion einen Gegensatz bilden. Design in Werbung und Industrie etwa reagiert zwar auf diese medialen Einflüsse. Gleichzeitig aber wirkt es natürlich weiterhin in den Raum hinein, ob von Plakatwänden oder auf Verpackungen.

In der Kunst von Reinhold Budde glaubt man etwas von dieser Kohärenz wiederzufinden, womöglich auch nur, wenn man von der beruflichen Laufbahn des Künstlers im Designbetrieb weiß. Für internationale Unternehmen hat er gearbeitet, mitgewirkt am Corporate Design, diesem »hoch ästhetischen Bereich der Werbung«, wie er sagt. Er hatte nach seinem Abschied von der Branche erst ausbrechen wollen aus diesem Bereich: andere Zugänge ausloten, Figürliches, Konkretes. Abbildungen seiner Kunst in Katalogen früherer Jahre lassen noch den Einfluss von Antoni Tàpies erahnen, Budde selbst berichtet von wilden Experimenten mit Farbe, Action Painting nach Jackson Pollock. Doch ein Leben fürs Design hinterlässt Spuren, prägt ästhetisches Bewusstsein und künstlerisches Selbstverständnis. So kehrte er schließlich zurück – nicht zum Design direkt, wohl aber zu dessen disziplinierter Formsprache. Sie zeigt sich in monochromen Objekten, die isoliert betrachtet an Farbfeldmalerei erinnern, tatsächlich aber darauf ausgerichtet sind, den Raum zu erobern. Da sind etwa die rechteckigen Holzkörper. Immer wieder mit Bootslack lackiert, abgeschliffen und erneut lackiert, reflektieren sie hochglänzend Raum und Betrachter. Mal in Gelb, mal in Rot, sehr häufig in Schwarz. Mit besonders irritierender Kraft wirken sie in Weiß auf den Rezipienten ein: Von der Seite noch eine matte Oberfläche wahrnehmend, sieht er sich erst unmittelbar vor dem Objekt stehend in den Raum zurückgeworfen, nur in der direkten Konfrontation wird die plastische Dimension dieser Malerei erfahrbar. Eine schwarz lackierte Dibond-Platte hängt gerade so locker an der Wand, dass sich im Schattenwurf eine rötliche Färbung zeigt. Zauberei? Keineswegs. Die nicht sichtbare Rückseite ist rot lackiert, und in den schmalen Spalt zwischen Wand und Bild dringt gerade so viel Licht, dass dieser Lack reflektiert: ein Effekt, der dem Betrachter ein auf den ersten Blick unerklärliches Farbspiel bietet.

Raum aber lässt sich nicht erobern, ohne ihn gleichzeitig zu inszenieren. Im Pavillon des Bremer Gerhard-Marcks-Hauses reiht Budde sechs schwarze Pfeiler nebeneinander. Farbe kommt erst ins Spiel, wenn sich der Besucher ein Herz fasst und mitten durch die Säulen schreitet. Denn nur von der anderen Seite lassen sich oben knapp unterhalb des Deckengewölbes ein gelbes Trapez und ein roter Querbalken erkennen. Je nach Standpunkt allerdings können sich statt des Trapezes auch zwei Dreiecke zeigen, ein Dreieck und ein Parallelogramm oder noch ganz andere geometrische Figuren: weil schwarze Pfeiler und roter Querbalken als Raum- wie Flächenteiler fungieren. So wirkt die Raumerkundung des Betrachters unmittelbar auf die Fläche zurück, der Betrachter kreiert sein eigenes Kunstwerk. »To Palermo« nennt Budde diese Installation, eine Reminiszenz an Blinky Palermo, dessen geistige Patenschaft mit Händen zu greifen ist.

Noch direkter wirkt die Inszenierung in »Bühne # Raum«. Eine Schau, die sich wie kaum eine zuvor auf die baulichen Bedingungen der Galerie des Westens in Bremen-Walle einlässt. Das graue Bühnenpodest rechts neben dem Eingang, eigentlich bloß die Abdeckung eines alten Bunkers, dient als Ausgangspunkt für eine buchstäblich theatrale Raumgestaltung. Ein roter Vorhang aus filzähnlichem Stoff (»Nein, nein!«, korrigiert Budde: »Kein Filz, sondern Bühnenmolton!«) kontrastiert mit einem grauen Wandvorhang links hinten auf der anderen Seite der Galerie. »Theater!«, schießt es dem Betrachter gleich beim Betreten der Galerie durch den Kopf, auch wenn der rote Vorhang inzwischen mehr Klischee ist denn tatsächlicher Bühnenalltag.

Und doch wird durch dieses Element sogleich Raum geschaffen, sei es auch nur auf metaphorischer Ebene. Allein die unterschiedliche Funktion des roten Bühnentextils einerseits (zur optischen Abdeckung) und des grauen Wandvorhangs andererseits (zur akustischen Dämmung) verweist in subtiler Weise auf räumlich wirksame Phänomene wie Schall und Handlung.

Zwischen den matten Farben dieser beiden Stoffe entfaltet sich in Objekten, die an Minimal Art von Donald Judd denken lassen, ein breites Spektrum an farblicher Plastizität. Da sind zunächst zwei schwarz lackierte Aluprofile, horizontal gehängt, gerade so dicht beisammen, dass in ihrem Zwischenraum eine rötliche Reflexion zur Geltung kommt. Rötliche Reflexion? Ein kurzer Blick auf die kaum einsehbaren Schmalseiten genügt. Natürlich: roter Lack! »Farbresonanzraum « nennt Budde diesen Bereich, und in der Ausstellung wirkt diese optische Form der Resonanz wie ein Kommentar auf den nur imaginären Schall zwischen Bühne und Wandvorhang.

Über die Aluprofile und ihre farbliche Resonanz wandert der Blick weiter zu einem rot beschichteten Spiegel. Die Selbstermächtigung des Rezipienten, in »To Palermo« noch ganz auf Flächen und geometrische Figuren gerichtet, gilt hier schon dem Betrachter selbst. Der mag, verführt vom theatralen Grundton des gesamten Installationsaufbaus, an Goethes »Torquato Tasso« denken. »Wie reizend ist‘s, in seinem schönen Geiste sich selber zu bespiegeln!«, heißt es da, und wie sich auch das Drama um die Geltung und das Wirken des Künstlers dreht, so spielt auch die Installation ironisch mit der Ambivalenz künstlerischer Mittel zwischen bloßer Funktionalität und hehrem Anspruch. Ein zweiter Spiegel in der Öffnung zum hinteren Raum (ver)führt den Besucher in ein kleines Kabinett, wo die Ausstellung fortgesetzt wird.

Rechts die Bühne, links das Foyer mit Spiegel: Die Szene wäre nicht komplett ohne jenen schwarzen Pfeiler in der Mitte, der wie in so vielen Gebäuden des bürgerlichen Kulturlebens auch hier zur Decke ragt – als »Stütze«, wenn man dem Wortgebrauch des Künstlers folgen mag. Wohl wissend, dass dieser Begriff bewusst in die Irre führt. Denn wen oder was soll diese quadratische Säule schon stützen, bei einer Decke, die auch ohne dieses Objekt schon Jahrzehnte lang der Schwerkraft getrotzt hat? »Nichts«, lautet erwartungsgemäß die Antwort. Und doch stimmt diese nicht ganz. Tatsächlich ist der Pfeiler dazu geeignet, etwas abzustützen, sogar im für Budde typischen Sinn. Es ist der Blick des Betrachters, der das funktional nutzlose Objekt dankbar als Orientierungsangebot nimmt: Stütze in horizontaler statt vertikaler Richtung.

So drängt die Malerei nicht allein heraus aus dem Bild und hinein in den Raum. Sie drängt darüber hinaus nach vorne in die Handlung, ins Performative, wie es zum Teil metaphorisch durch Theatervorhänge, zum Teil aber auch ganz unmittelbar durch Provokation eines bestimmten Publikumsverhaltens geschieht. Und auch darin zeigt sich eine Erwiderung auf veränderte Verhaltensstrukturen: Verlagert sich doch mit der Wahrnehmung auch das aktive Handeln sukzessive aus dem realen Raum in die digitale Fläche.

Budde bedient sich dabei theatraler Mittel, lässt sich erklärtermaßen inspirieren von der Dramatik Heiner Müllers und der reduzierten Formsprache des vor einem Jahr verstorbenen Regisseurs Dimiter Gotscheff. Und doch scheinen immer auch Strukturen der Designästhetik durch, etwa in der Bildung klassischer Gegensatzpaare. Da trifft die Reflexion auf Absorption, das Horizontale auf das Vertikale, rund auf eckig, Aluminium auf Stoff, hart auf weich. Und wer sich aufs Podest hinter den roten Vorhang begibt, der sieht als Gegenstück unscheinbar im Eck einen Stapel gelbes Papier auf dem Boden liegen. Es ist eine wohldurchdachte Ordnung von Symmetrien und Kontrasten, die dieses Raumverständnis dominiert, so präzise strukturiert, dass selbst die Momente der Irritation darin wie eine logische Konsequenz erscheinen.

Bei aller formalen Stringenz liegt aber eine poetische Kraft in dieser Kunst, die Ordnung verflacht niemals zur bloßen Mathematik, die Form nicht zur Hülle. Das liegt zum einen an bestimmten Setzungen, die sich rationalen Kriterien entziehen, wie etwa der Verzicht auf Blau und Grün. Zum anderen mag in dieser Ästhetik noch eine meditative Energie nachwirken, die einst die Arbeit an den ersten monochromen, flächigen Bildern gekennzeichnet hatte.

Der Geschichte der Loslösung von der Fläche hinein in den Raum und weiter in die Handlung geht nämlich ein Prolog voraus: die Erzählung von der Zeit. Buddes frühe Bilder fangen sie ein. Mal in monochromen Ölgemälden, entstanden in stetigem Auftrag immer neuer Farbschichten. Mal in Kreidelithografien, deren Material einem magischen Moment geschuldet sind: Beim Trocknungsprozess der Kreide gilt es exakt den Zeitpunkt der geeigneten Konsistenz abzupassen. So beschreibt diese Kunst eine Entwicklung aus der Zeit heraus in den Raum und weiter in die räumliche Bewegung.

Man ist geneigt, über einen weiteren Verlauf dieser Kurve zu spekulieren. Wird sie in eine Form des konkreteren Kommentars münden, in eine kritische, womöglich gar politische Dimension? Oder wird sie sich aus der theatralen Inspiration heraus einer performativen Diktion annähern? Das Nachdenken über Form, Farbe, Raum und Zeit, so viel ist jedenfalls gewiss, hat sich noch lange nicht erledigt. Und in der Kunst von Reinhold Budde verspricht dieser Prozess auch künftig einen hoch ästhetischen Ausdruck zu finden. Nur blau oder grün wird er wohl nicht sein.

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REINHOLD BUDDE | TEXTE

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