Es ist ein seltsames Ding mit dem Leiden an der Fläche: Allerorten
drängt es die Farbe fort von der Leinwand, hinein in den Raum.
Künstler schaben sie ab, türmen sie auf, verleihen ihr plastische Formen.
Warum? Vielleicht, weil gleichzeitig überall der Raum in die Fläche
gepresst wird, ob auf Plasmafernsehern, Tablets oder Smartphones:
Besetzung von Räumen als Reaktion auf eine zunehmende Verbildschirmung
des Alltags. Nicht immer muss diese Reaktion einen Gegensatz
bilden. Design in Werbung und Industrie etwa reagiert zwar auf diese
medialen Einflüsse. Gleichzeitig aber wirkt es natürlich weiterhin
in den Raum hinein, ob von Plakatwänden oder auf Verpackungen.
In der Kunst von Reinhold Budde glaubt man etwas von dieser
Kohärenz wiederzufinden, womöglich auch nur, wenn man von
der beruflichen Laufbahn des Künstlers im Designbetrieb weiß. Für
internationale Unternehmen hat er gearbeitet, mitgewirkt am Corporate
Design, diesem »hoch ästhetischen Bereich der Werbung«, wie er sagt.
Er hatte nach seinem Abschied von der Branche erst ausbrechen wollen
aus diesem Bereich: andere Zugänge ausloten, Figürliches, Konkretes.
Abbildungen seiner Kunst in Katalogen früherer Jahre lassen noch
den Einfluss von Antoni Tàpies erahnen, Budde selbst berichtet
von wilden Experimenten mit Farbe, Action Painting nach Jackson
Pollock. Doch ein Leben fürs Design hinterlässt Spuren, prägt ästhetisches
Bewusstsein und künstlerisches Selbstverständnis. So kehrte er schließlich
zurück – nicht zum Design direkt, wohl aber zu dessen disziplinierter
Formsprache. Sie zeigt sich in monochromen Objekten, die isoliert
betrachtet an Farbfeldmalerei erinnern, tatsächlich aber darauf
ausgerichtet sind, den Raum zu erobern. Da sind etwa die rechteckigen
Holzkörper. Immer wieder mit Bootslack lackiert, abgeschliffen und
erneut lackiert, reflektieren sie hochglänzend Raum und Betrachter.
Mal in Gelb, mal in Rot, sehr häufig in Schwarz. Mit besonders
irritierender Kraft wirken sie in Weiß auf den Rezipienten ein: Von
der Seite noch eine matte Oberfläche wahrnehmend, sieht er sich erst
unmittelbar vor dem Objekt stehend in den Raum zurückgeworfen,
nur in der direkten Konfrontation wird die plastische Dimension
dieser Malerei erfahrbar. Eine schwarz lackierte Dibond-Platte hängt
gerade so locker an der Wand, dass sich im Schattenwurf eine rötliche
Färbung zeigt. Zauberei? Keineswegs. Die nicht sichtbare Rückseite
ist rot lackiert, und in den schmalen Spalt zwischen Wand und Bild
dringt gerade so viel Licht, dass dieser Lack reflektiert: ein Effekt, der
dem Betrachter ein auf den ersten Blick unerklärliches Farbspiel bietet.
Raum aber lässt sich nicht erobern, ohne ihn gleichzeitig zu inszenieren.
Im Pavillon des Bremer Gerhard-Marcks-Hauses reiht Budde
sechs schwarze Pfeiler nebeneinander. Farbe kommt erst ins Spiel,
wenn sich der Besucher ein Herz fasst und mitten durch die Säulen
schreitet. Denn nur von der anderen Seite lassen sich oben knapp unterhalb
des Deckengewölbes ein gelbes Trapez und ein roter Querbalken
erkennen. Je nach Standpunkt allerdings können sich statt des Trapezes
auch zwei Dreiecke zeigen, ein Dreieck und ein Parallelogramm oder
noch ganz andere geometrische Figuren: weil schwarze Pfeiler und
roter Querbalken als Raum- wie Flächenteiler fungieren. So wirkt die
Raumerkundung des Betrachters unmittelbar auf die Fläche zurück,
der Betrachter kreiert sein eigenes Kunstwerk. »To Palermo« nennt
Budde diese Installation, eine Reminiszenz an Blinky Palermo, dessen
geistige Patenschaft mit Händen zu greifen ist.
Noch direkter wirkt die Inszenierung in »Bühne # Raum«. Eine
Schau, die sich wie kaum eine zuvor auf die baulichen Bedingungen
der Galerie des Westens in Bremen-Walle einlässt. Das graue
Bühnenpodest rechts neben dem Eingang, eigentlich bloß die Abdeckung
eines alten Bunkers, dient als Ausgangspunkt für eine buchstäblich
theatrale Raumgestaltung. Ein roter Vorhang aus filzähnlichem Stoff
(»Nein, nein!«, korrigiert Budde: »Kein Filz, sondern Bühnenmolton!«)
kontrastiert mit einem grauen Wandvorhang links hinten auf der
anderen Seite der Galerie. »Theater!«, schießt es dem Betrachter gleich
beim Betreten der Galerie durch den Kopf, auch wenn der rote Vorhang
inzwischen mehr Klischee ist denn tatsächlicher Bühnenalltag.
Und doch wird durch dieses Element sogleich Raum geschaffen,
sei es auch nur auf metaphorischer Ebene. Allein die unterschiedliche
Funktion des roten Bühnentextils einerseits (zur optischen
Abdeckung) und des grauen Wandvorhangs andererseits (zur akustischen
Dämmung) verweist in subtiler Weise auf räumlich wirksame Phänomene
wie Schall und Handlung.
Zwischen den matten Farben dieser beiden Stoffe entfaltet sich in
Objekten, die an Minimal Art von Donald Judd denken lassen,
ein breites Spektrum an farblicher Plastizität. Da sind zunächst zwei
schwarz lackierte Aluprofile, horizontal gehängt, gerade so dicht
beisammen, dass in ihrem Zwischenraum eine rötliche Reflexion zur
Geltung kommt. Rötliche Reflexion? Ein kurzer Blick auf die kaum
einsehbaren Schmalseiten genügt. Natürlich: roter Lack! »Farbresonanzraum
« nennt Budde diesen Bereich, und in der Ausstellung
wirkt diese optische Form der Resonanz wie ein Kommentar auf den
nur imaginären Schall zwischen Bühne und Wandvorhang.
Über die Aluprofile und ihre farbliche Resonanz wandert der
Blick weiter zu einem rot beschichteten Spiegel. Die Selbstermächtigung
des Rezipienten, in »To Palermo« noch ganz auf Flächen
und geometrische Figuren gerichtet, gilt hier schon dem Betrachter
selbst. Der mag, verführt vom theatralen Grundton des gesamten
Installationsaufbaus, an Goethes »Torquato Tasso« denken. »Wie
reizend ist‘s, in seinem schönen Geiste sich selber zu bespiegeln!«,
heißt es da, und wie sich auch das Drama um die Geltung und das
Wirken des Künstlers dreht, so spielt auch die Installation ironisch mit
der Ambivalenz künstlerischer Mittel zwischen bloßer Funktionalität
und hehrem Anspruch. Ein zweiter Spiegel in der Öffnung zum
hinteren Raum (ver)führt den Besucher in ein kleines Kabinett, wo
die Ausstellung fortgesetzt wird.
Rechts die Bühne, links das Foyer mit Spiegel: Die Szene wäre
nicht komplett ohne jenen schwarzen Pfeiler in der Mitte, der
wie in so vielen Gebäuden des bürgerlichen Kulturlebens auch hier zur
Decke ragt – als »Stütze«, wenn man dem Wortgebrauch des Künstlers
folgen mag. Wohl wissend, dass dieser Begriff bewusst in die Irre
führt. Denn wen oder was soll diese quadratische Säule schon stützen,
bei einer Decke, die auch ohne dieses Objekt schon Jahrzehnte lang
der Schwerkraft getrotzt hat? »Nichts«, lautet erwartungsgemäß die
Antwort. Und doch stimmt diese nicht ganz. Tatsächlich ist der Pfeiler
dazu geeignet, etwas abzustützen, sogar im für Budde typischen Sinn.
Es ist der Blick des Betrachters, der das funktional nutzlose Objekt
dankbar als Orientierungsangebot nimmt: Stütze in horizontaler statt
vertikaler Richtung.
So drängt die Malerei nicht allein heraus aus dem Bild und hinein in
den Raum. Sie drängt darüber hinaus nach vorne in die Handlung,
ins Performative, wie es zum Teil metaphorisch durch Theatervorhänge,
zum Teil aber auch ganz unmittelbar durch Provokation eines
bestimmten Publikumsverhaltens geschieht. Und auch darin zeigt sich
eine Erwiderung auf veränderte Verhaltensstrukturen: Verlagert sich
doch mit der Wahrnehmung auch das aktive Handeln sukzessive aus
dem realen Raum in die digitale Fläche.
Budde bedient sich dabei theatraler Mittel, lässt sich erklärtermaßen
inspirieren von der Dramatik Heiner Müllers und der
reduzierten Formsprache des vor einem Jahr verstorbenen Regisseurs
Dimiter Gotscheff. Und doch scheinen immer auch Strukturen der
Designästhetik durch, etwa in der Bildung klassischer Gegensatzpaare.
Da trifft die Reflexion auf Absorption, das Horizontale auf das
Vertikale, rund auf eckig, Aluminium auf Stoff, hart auf weich. Und
wer sich aufs Podest hinter den roten Vorhang begibt, der sieht als
Gegenstück unscheinbar im Eck einen Stapel gelbes Papier auf dem
Boden liegen. Es ist eine wohldurchdachte Ordnung von Symmetrien
und Kontrasten, die dieses Raumverständnis dominiert, so präzise
strukturiert, dass selbst die Momente der Irritation darin wie eine
logische Konsequenz erscheinen.
Bei aller formalen Stringenz liegt aber eine poetische Kraft in dieser
Kunst, die Ordnung verflacht niemals zur bloßen Mathematik, die
Form nicht zur Hülle. Das liegt zum einen an bestimmten Setzungen,
die sich rationalen Kriterien entziehen, wie etwa der Verzicht auf Blau
und Grün. Zum anderen mag in dieser Ästhetik noch eine meditative
Energie nachwirken, die einst die Arbeit an den ersten monochromen,
flächigen Bildern gekennzeichnet hatte.
Der Geschichte der Loslösung von der Fläche hinein in den Raum
und weiter in die Handlung geht nämlich ein Prolog voraus: die
Erzählung von der Zeit. Buddes frühe Bilder fangen sie ein. Mal in
monochromen Ölgemälden, entstanden in stetigem Auftrag immer
neuer Farbschichten. Mal in Kreidelithografien, deren Material einem
magischen Moment geschuldet sind: Beim Trocknungsprozess der Kreide
gilt es exakt den Zeitpunkt der geeigneten Konsistenz abzupassen.
So beschreibt diese Kunst eine Entwicklung aus der Zeit heraus in den
Raum und weiter in die räumliche Bewegung.
Man ist geneigt, über einen weiteren Verlauf dieser Kurve zu
spekulieren. Wird sie in eine Form des konkreteren Kommentars
münden, in eine kritische, womöglich gar politische Dimension? Oder
wird sie sich aus der theatralen Inspiration heraus einer performativen
Diktion annähern? Das Nachdenken über Form, Farbe, Raum und
Zeit, so viel ist jedenfalls gewiss, hat sich noch lange nicht erledigt.
Und in der Kunst von Reinhold Budde verspricht dieser Prozess auch
künftig einen hoch ästhetischen Ausdruck zu finden. Nur blau oder
grün wird er wohl nicht sein.