Dr. Rainer Beßling

PERGOLA

Beim Eintritt bietet sich dem Besucher das Bild einer Ausstellung.

Die offene Tür des Bremer Atelierhauses Friesenstraße rahmt den Blick auf eine Reihe von Tafelbildern und ruft zum Nähertreten auf. Doch die Aufmerksamkeit des Betrachters wird angehalten und umgelenkt. Bereits im Vorraum fordert eine Arbeit Beachtung. Zwei rote Balken an der Wand bilden das Gegengewicht zu einer Präsenz behauptenden Treppe. Sie strahlen Signalcharakter aus und wirken durch Volumen und Farbqualität in den Raum hinein. Die Wand spielt bei der Gestaltgebung mit: Aussparungen in den horizontal übereinander gesetzten Balken bilden Quadrate aus. Die an die Formensprache des Minimalismus anschließenden Objekte markieren den Raum und präsentieren ihn damit zugleich.

Ein genauerer Blick lässt die ungefasste Holzstruktur auf der Stirnseite sowie Löcher und Probeschnitte in beiden Balken erkennen. Herstellungsprozess und Herkunft aus der Werkstatt sind den Objekten damit eingeschrieben. Zudem verweisen die Arbeitsspuren auf ein früheres Werk: Die Balken sind zuvor in einer Installation im Pavillon des Bremer Gerhard-Marcks-Hauses zum Einsatz gekommen. Dort zitierte Reinhold Budde das Formen- und Farbenvokabular Blinky Palermos und positionierte sich damit in die Tradition explizit raumbezogener Arbeiten, die sich nicht zuletzt durch lakonische Askese und Pointenreichtum auszeichnen.

So setzt Budde bereits im Prolog seines Beitrags zur „Passagen“-Trilogie im Atelierhaus Friesenstraße ein mehrschichtiges Statement: Markant rückt hier als Resonanz plastischer Präsenz und farblicher Qualität der Intervention die architektonische Situation des Ausstellungsortes in den Fokus. Zugleich wird der Projektbegriff der „Passage“ doppelbödig umspielt: Der Besucher sieht sich in einem räumlichen Kontext in Blicklenkungen und Wegweisungen verstrickt. Zugleich sind zeitliche Bezüge durch Verweise auf Ausstellungshistorie und Werkgenese eröffnet. Passage ist somit auch als Kapitel einer Werkentwicklung zu verstehen, die der Künstler in Korrespondenz mit der räumlichen Charakteristik wechselnder Kunstinstitutionen konzise und konsequent verfolgt.

Mit den sechs Tafelbildern, fünf weißen und einem grünen, auf die der Besucher an der zweiten Station seiner Passage trifft, lässt sich in mehrfacher Hinsicht an den Prolog anknüpfen. Budde verweist hier auf seine Herkunft aus der Malerei, zugleich macht er in denkbar konzentrierter Form den Rollenwechsel des Bildes zum Bildobjekt, dessen Funktionswandel von der Repräsentation zur Präsenz und damit dessen Ausgreifen von der Wand in den Raum hinein sinnfällig. Die Farbe der Bildtafeln steht förmlich im Raum, akzentuiert durch die Fassung der Tafelränder mit weißer Wandfarbe. Der erste Eindruck des Besuchers, auf eine Präsentation von Exponaten zuzugehen, ist damit konterkariert.

Mit dem monochromen Weiß knüpft Budde nicht nur gewissermaßen ex negativo an das vorherrschende monochrome Schwarz in seinem eigenen Schaffen an, er öffnet damit auch einen weiten Horizont semantischer und struktureller Bezüge. Dass es nicht vorrangig um den umfänglichen symbolischen Hof rund um die Farbe Weiß und damit um narrative Elemente geht, macht bereits die Reihung der Tafeln deutlich. Die serielle Anordnung hebt nicht den potentiellen Bildinhalt, sondern Struktur und Materialität, das heißt den Modus des Bildes, seine Erscheinungsweise, hervor. Das Distinkte einer solitären Komposition ist durch allmählich erscheinende, fortgesetzte Ausprägungen abgelöst.

Die in mehreren Lagen aufgetragene, Schicht um Schicht geschliffene Farbe zeigt sich in extremer Verdichtung und hohem Glanz. Die im Prozess, im körperlich-zeitlichen, konzentrierten Einsatz angereicherte Energie spiegelt sich an der Oberfläche und bietet sich dem Austausch mit dem Raum und mit der Wahrnehmungsenergie des Besuchers dar. Dieser sieht sich in Resonanz mit der Bildtafel auf sich selbst zurückgeworfen. Hier ist bereits der Raum um und zwischen Bildobjekt und Betrachter aufgerufen und thematisiert, der sich mit dem Begriff der Atmosphäre beschreiben ließe. So rückt neben dem physischen Raum auch eine sinnlich besetzte Räumlichkeit in den Blick.

Das monochrome Weiß, höchste Intensität eines alles überstrahlenden Lichts und Bündelung aller Spektralfarben, lässt sich kaum ohne kunstgeschichtliche Referenzen sehen. Bei Budde taucht es aber nicht als bloßes Zitat einer historischen Auslöschungsgeste auf, sondern als integrales Moment einer vielschichtigen Öffnung von Wahrnehmung und Portal von Erkenntnis, gleichsam wie eine Pause in der Musik, aus der jede Gestalt und zugleich deren Beachtung schöpfen. Mit dem Weiß trägt der Künstler Beruhigung an den Ausstellungsort, fördert Konzentration und Sensibilität für feinste malerische Nuancen und wirft zugleich grundlegende Fragen nach dem Charakter eines Bildes und der Qualität von Farbe auf. Farbe als Sinnenreiz und Farbe als Material werden kurzgeschlossen, die vermeintliche Leere birgt eine Fülle an Reflexionspotential.

Ein Bildobjekt mit mattem Grün schert aus der Reihe der weißen Tafeln aus und verweist nicht zuletzt auf Differenz als Grundelement von Wahrnehmung. Budde strukturiert hier die Anordnung und bringt zugleich den Rhythmus selbst als zentrales Gestaltungsmoment zur Anschauung. Bereits an dieser Stelle der Interventionen verfängt sich der Blick des Betrachters zugleich in Spezifika des Ausstellungsraumes, der primär und profan als Korridor zu Ateliers fungiert. So treten Symmetrien in der Innenarchitektur hervor, die vermeintlich neutrale Raumhülle bildet selbst plastische Charakteristika aus. Der Raum tritt somit nicht als statische Größe, sondern als Resultat eines relationalen Gefüges und als Ergebnis von Beachtung hervor, die ihrerseits durch wechselnde Gestaltungsimpulse gestimmt ist.

Die grüne Bildtafel schlägt zugleich eine Brücke zu einer Wandarbeit, die sich dem Besucher darstellt, der nun das zentrale, architektonisch markanteste Raumsegment des Atelierhauses betritt. Richtet er sich gemäß der Flucht des lang gestreckten Flures aus, fällt sein Blick auf acht hochglänzende schwarze Aluminiumprofile, die in gleichmäßig gegliederter Verstrebung quer zum Korridorverlauf eine zweite Decke im Raum simulieren. Zu dieser „Pergola“, titelgebend für Buddes Arbeit im Atelierhaus Friesenstraße, fügt sich am Ausgangspunkt des Flures, zunächst im Rücken des Ausstellungspassanten, ein wandbeherrschendes Stück Kunstrasen. Wendet sich der Besucher am Anfang des Korridors um, sieht er sich aus der Nähe und im Detail mit dem Versuch einer täuschend ähnlichen Imitation von Grasbüscheln konfrontiert. Aus der Ferne wirkt das Stück wie eine weitere Farbfläche im Raum. Als „Kunstrasen“ und zumal im Zusammenspiel mit der „Pergola“ stellt es eine doppelbödige, gleichermaßen ironische wie präzise Markierung des Ausstellungsraumes, dessen Transformation und eine Thematisierung grundlegender ästhetischer Fragestellungen dar.

Neben der Flurstruktur, die die Ausstellungskuratoren zu ihrem „Passagen“-Projekt angeregt haben, gehört zu den Besonderheiten des Atelierhauses ein Atriumgarten, der in der Vergangenheit von zahlreichen Ausstellenden genutzt oder aufgegriffen worden ist. Für den Kundigen im Haus, für den eingeweihten Besucher dürfte sich bereits hier eine ortsspezifische Referenz von Buddes Arbeit andeuten.

Mit der Installation eines gartenarchitektonischen Elements in den Innenraum, ablesbar auch am Licht in der Kreuzung der Profile mit den Deckenlampen, nimmt der Künstler nun unterschiedliche Verschränkungen und Konfrontationen vor. Zum einen verschleift er semantisch einen Vorbau mit einem Flur, der gleichfalls die Funktion eines Vorraums und damit eines Zwischenbereichs ausfüllt. Das Zusammenspiel dieser beiden Schwellensituationen wird auch formal erkennbar: Die Gliederung der Profile, die gleichermaßen wie grafische Einschreibungen in den Raum, als dessen Rhythmisierung und Dynamisierung wirken, korrespondiert mit der Reihung der Ateliertüren, die sich nun ihrerseits als formales, strukturierendes Moment darbieten. Zum anderen ließe sich die mit der „Pergola“ markierte Übergangssituation von Garten und Haus auch als Korrespondenz zum Übergang von Produktion und Präsentation im Atelierhaus verstehen.

In gedanklicher Engführung mit dem Kunstrasen als Wandstück gewinnt die „Pergola“ weiter an Prägnanz und Pointe. Um 90 Grad gekippt, erinnert das Grasimitat an die Readymades eines Duchamp und deren Auratisierung im Ausstellungskontext. Der Rasen erhebt sich damit als Farbfläche zum Kunstobjekt, wobei der Künstler sorgfältig darauf geachtet hat, die Wand als Ausstellungsfläche zu exponieren und das Objekt nicht in eine Dekorrolle gleiten zu lassen. Zugleich entlarvt sich das offenkundig um Ähnlichkeit bemühte Simulacrum selbst als Trugbild. Mit der Präsentation der Kopie wird also auch das Kopieren dargestellt. Damit könnte das imitierende Objekt zum Vorschein bringen, was im „natürlichen“ Objekt tendenziell verborgen ist beziehungsweise übersehen wird: dass es sich beim Rasen gleichermaßen um ein „künstliches“ Objekt handelt, dass der Garten ein Surrogat für den Naturraum darstellt. Freilich darf dabei nicht vergessen werden, dass „Kunstrasen“ in zunehmender alltäglicher Verwendung eine weitere kulturelle Überformung und Versiegelung des Bodens darstellt.

Mit einer vielfach ineinander gespiegelten Verschränkung von Garten- und Innenarchitektur thematisiert Budde das nicht nur auf einer physisch-räumlichen Ebene zu verstehende Verhältnis von Innen und Außen, von Natur-, Kultur- und Kunstraum, von Wirklichkeitsverzerrungen und Abbildstrukturen. An dieser Stelle könnte Buddes „Passagen“-Inszenierung bereits beendet sein. Für den Besucher, der seinen Gang bis in den hinteren Abzweig des Flures fortsetzt, bietet sich aber noch eine überraschende Volte, die vorangegangene Erfahrungen und Erlebnisse mit der Raumarbeit aufruft und zugleich auf eine weitere Ebene hebt.

Zum Finale eröffnet sich nicht der zu erwartende Blick in den Garten, vielmehr hat Budde Fenster und Fenstertür mit glänzender Folie verklebt und damit den Kunstraum hermetisch und blickdicht abgeriegelt. Die Geste lässt sich als Hinweis auf ein vielfach gebrochenes Verhältnis von Außenwelt und menschlichem Weltinnenraum, von Wirklichkeit und Virtualität, auch als weiteren Verweis auf die Reibungen von Natur und Landschaftsbild sehen, wenn man denn den Garten als kulturlandschaftlichen Naturersatz und Projektionsfläche für ästhetisches Naturempfinden nimmt.

Vor der Ausweitung des thematischen Horizonts empfiehlt sich aber eine engere formale Lesart. Die Fensterprofile fügen sich mit weißen und primärfarbigen Flächen zu einer Bildlandschaft, die sich zusammen mit einer Farbfläche an einer Nachbarwand zu einem Raumbild erweitern. Die Formation lässt an die Fensterbilder Ellsworth Kellys denken und damit auch an die Entwicklung der Abstraktion aus dem Schattenwurf der Alltagswelt. Auch die Assoziation an Mondrian könnte sich einstellen, dessen gegenstandsfreien Kompositionen bekanntlich Bilder von Feldern vorausgingen. In jedem Falle richtet Budde die Aufmerksamkeit auf Anfänge der Moderne, die nicht nur von der Behauptung einer Autonomie der Kunst, sondern auch durch den Abschied vom Fenster als Blick in die Welt und von dem im Fensterblick gewonnenen Bild als Spiegel der Welt gekennzeichnet ist.

Das Fenster in der Kunst der Moderne und so auch bei Budde ist verschlossen. Gerade in der Verhüllung des symbolreichen Architekturelements Fenster wird die bildhaft gewendete Schwellensituation zwischen Öffnung und Grenzziehung umso signifikanter. In der Blickverweigerung lassen sich Sehen und Sichtbarkeit reflektieren. In der Evokation des Bildcharakters wird das Alltägliche aus seinem Kontext gehoben, und der Blick justiert sich auf einen Übergangsraum zwischen Zeigen und Verbergen, Verhüllen und Enthüllen.

Die Wahl von Hochglanzfolie für die Verhüllung der Fenster geschieht nicht zufällig. Budde schlägt hiermit einen weiten Bogen zu den weißen Bildern zum Auftakt seiner Raumarbeit, indem er zugleich eine wichtige Unterscheidung einführt: Intensivieren und dehnen die malerisch entstandenen Bildobjekte die Wahrnehmung in ihrer verdichteten Oberflächenenergie, repräsentiert die Folie einen punktuellen Augenreiz, der an die funktionelle Ästhetisierungsstrategie des Designs erinnert. Hier wird die Hülle prominent, die als entscheidende Schnittstelle zwischen Mensch und Ware auftritt, die allgemein als gestaltete Oberfläche zwischen Mensch und Welt tritt. Reinhold Buddes „Pergola“ als erste Folge des dreiteiligen „Passagen“-Werks im Bremer Atelierhaus Friesenstraße und als Kapitel in der sequentiell geprägten Schaffensfolge des Künstlers vereint Momente von Architektur, Kunst und Design in Reflexion und Gestalt zu einem reibungsreichen Trialog. In der Inszenierung von Raumbildern, die mit dem Gang durch die Installation wechseln und schrittweise angereichert werden, sowie der Herausbildung skulptural, farblich und architektonisch initiierter Wahrnehmungsstimmungen sensibilisiert er auf höchstem formalen Niveau und in klärender Verknappung für die Macht von Atmosphären. Budde gelingt in seiner ästhetischen Strategie eine beispielhafte Koinzidenz von Praxis und gedanklichem Konzept. Seine Arbeiten sind ebenso Erlebnisorte wie Erkenntniswege und schließen auch die performative Qualität der Präsenz und Präsentation plastischer Bilder ein.

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REINHOLD BUDDE | TEXTE

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